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Hand drauf!

Möglicherweise steckt es in unseren Genen. Von Kindheit an handeln wir. Ob wir länger aufbleiben dürfen, ob wir einen Bonbon bekommen, ob wir das rosa Shirt von gestern noch einmal anziehen dürfen. Wenn wir in die Geschichte schauen, dann ist sie auch die Geschichte des Handelns. Schon an der Grenze zur Menschwerdung wurde getauscht. Es scheint kein Zufall zu sein, dass das Wort Handeln im Deutschen sowohl für das „Tun“ aber auch für den „Austausch“ steht.

Mit hochrotem Kopf steht der Mann an der „Service-Stelle“ des Möbelhauses. Er brüllt. Der Mitarbeiter vor ihm blättert in den Unterlagen. „Wegen drei Schrauben muss ich noch mal 60 Kilometer fahren. Das ist unverschämt.“ Der Mitarbeiter entschuldigt sich im Namen der Firma. Der Kunde zetert weiter. Der Angestellte zieht sich in die hinteren Räume zurück und trinkt erst einmal einen Kaffee, er trägt nicht Schuld an den fehlenden Schrauben. Vor dem Counter schimpft der Kunde weiter. Der Mitarbeiter nimmt ein Päckchen entsprechender Schrauben und überreicht es. Den „Entschuldigungsgutschein“ in Höhe von 10-Euro lässt er liegen. Kleine Rache. „Hätte der mich nicht so behandelt, …“ denkt er. Hätte der Kunde geahnt, dass ihm ein Einkaufsgutschein entgeht, hätte er möglicherweise anders ‚gehandelt’.

Gehandelt wird ständig. Im Großen: Konzerne kaufen Konkurrenten, Parteien verhandeln über Koalitionen. Im Kleinen: Bei einem Autounfall muss geklärt werden, wer zahlt, bei einer Scheidung, wer das Kind bekommt, ein Nachbarschaftsstreit muss geschlichtet werden. Und im ganz Kleinen: Welche Fernsehsendung geguckt wird, was man am Wochenende unternimmt. Unser ganzes Leben besteht aus dem Austausch.

Obwohl wir ständig verhandeln, verfügen die meisten von uns nur über zwei Strategien: Entweder hart verhandeln oder weich. Letztere ist die Strategie des „Friedfertigen“. Er oder sie will keinen Konflikt, deshalb werden Zugeständnisse gemacht. Auf Dauer wird so ein Mensch nicht glücklich werden, weil er mehr und mehr das Gefühl gewinnt, ausgenutzt zu werden.

Für den „Harten“ ist jede Verhandlung ein Kampf. Er will, ja, muss gewinnen. Manchmal gelingt ihm das auch. Aber ein dauerhafter Erfolg, eine dauerhafte Beziehung wird es nicht. Seine Verhandlungspartner werden das Gefühl nicht los, sie seien übervorteilt worden. Egal, ob dies im realen Handel oder in einer Partnerschaft passiert. Auf lange Sicht wird so ein Gewinnertyp zum Loser.

Natürlich gibt es eine Menge Abstufungen zwischen diesen Strategien. Aber es läuft meistens auf die Frage hinaus: Verlieren oder gewinnen. Dabei gibt es einen anderen Weg, den Weg des sachbezogenen Verhandelns. Seit 40 Jahren wird an der US-amerikanischen Universität Harvard dieser Weg wissenschaftlich analysiert, erprobt und gelehrt. Das Resümee lässt sich in einem Satz zusammenfassen. Wer erfolgreich verhandeln will, muss eine „Win-win“-Situation, eine Situation schaffen, in der alle Beteiligten gewinnen und niemand das Gesicht verliert.

Wie funktioniert das Harvard-Konzept?

Trennen Sie Menschen und Probleme

Verhandeln spielt sich immer auf zwei Ebenen ab: Auf einer sachlichen und einer persönlichen. Diese beiden Ebenen sollte man immer fein säuberlich trennen. Das ist nicht leicht, Menschen sind tief mit ihren Emotionen verwurzelt und werfen Sachfragen gern mit persönlichen Fragen in einen Topf. Wer kauft schon gern sein Fleisch bei einem Metzger, der einem unsympathisch ist? Wenn der Satz in der Familie „Dein Zimmer ist ein einziges Chaos!“ fällt, dann stehen da neben der Sachbeschreibung persönliche Vorwürfe. Um es klar zu stellen: Es geht nicht darum, menschliche Beziehungen in den Verhandlungen außen vor zu lassen. Es geht darum, sie von der Sachfrage zu trennen.

Der Verhandlungstrick par excellence ist: Sich in die Lage des anderen zu versetzen. Dabei genügt es nicht, sich zu überlegen, dass der Verhandlungspartner die Dinge „anders“ sieht. Wie sieht er sie? Warum? Unsere Verhandlungspartner sind von ihrem Standpunkt genauso überzeugt, wie wir von unserem. Die Geschichte mit dem Glas, das halbvoll oder halb leer ist, muss nicht noch einmal erzählt werden. Welche Interessen hat unser Gesprächspartner? Wie verhandelt er normalerweise?

Wir machen gern den Fehler, uns von unseren Befürchtungen leiten zu lassen. Wir unterstellen der „Gegenseite“ häufig das Schlimmste und verhalten uns so. Und siehe da, es trifft dann auch noch ein. Problem ist nur, möglicherweise trifft es ein, WEIL wir es befürchtet haben. Von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung sprechen Psychologen. Unterstellen Sie Ihrem Gesprächspartner lieber positive Motive. Sich in die Lage des anderen zu versetzen, heißt noch lange nicht, seinen Standpunkt zu teilen.

Vergessen Sie die Positionen, kümmern Sie sich um die Interessen

Wenn man die Interessen hinter den Positionen findet, dann hat man eine Chance. Das Feilschen um Positionen führt nicht weiter. Beispiel? Gehen wir in die Politik – in Thüringen erleben wir das im Moment wie aus dem Lehrbuch: Die Linke will den Ministerpräsidenten stellen, die SPD will keinen „Linken“ in die Funktion wählen. Das sind Positionen, um die gerungen wird. Das Verhandeln von Interessen sieht anders aus: Wie wird das Schulsystem gestaltet? Wieviel Geld können wir zur Verfügung stellen? Wie sichern wir die Energieversorgung? Welche Energiefirmen nutzen wir? Natürlich kann es hierbei immer wieder zum Feilschen um Positionen kommen. Die einen wollen Kohlekraftwerke, weil sie Arbeit sichern. Die anderen wollen Energie UND den Klimawandel stoppen (in Wahlzeiten ist allerdings beliebt, dass alle alles wollen, aber das ist dann nicht ganz ernst zu nehmen). Dieses Spiel ist in der Politik sehr beliebt. Hinterfragt man, was denn die Interessen hinter den Positionen sind, findet man möglicherweise einen gemeinsamen Weg. Um im Beispiel zu bleiben: Zum Beispiel die Auflage eines Solarenergieprogramms.

Das Gerangel um Positionen führt zu Belastungen der künftigen Beziehungen. Sie münden meist in Entweder-Oder-Sackgassen. „Entweder Du wäscht endlich das Auto oder ich fahr nicht mehr mit… “ Das Ergebnis könnte ein fettes Grinsen des Bedrohten sein.

Interessen – die eigenen und die des Verhandlungspartners findet man mit der simplen Frage nach dem „Warum“ respektive dem „Warum nicht“. Wenn Sie um etwas verhandeln, haben Sie immer die Interessen des anderen als Teil des Problems im Blick.

Der Kuchen ist größer als man denkt

Ersetzen Sie das eindimensionale Denken, das „Entweder-oder“ durch die Suche nach mehr Optionen. Er will das Länderspiel sehen, sie den Pilcher. Entweder – oder? Mal von einem zweiten Fernseher abgesehen, könnte sie sich mit ihrer Freundin treffen, er sich mit dem Mann. Oder man geht statt Fernsehgucken gemeinsam essen. Oder man lädt Freunde ein, wer will guckt Fernsehen, der Rest feiert. Der Kuchen ist größer als man denkt.

„Basta!“ hilft nicht

Ganz egal, wie gut Sie sich in die Lage des anderen versetzen, wie viele Optionen Sie gefunden haben – es bleiben gegensätzliche Interessen als Ausgangspositionen. Damit die „Win-win“-Situation nicht zur Farce wird, brauchen Sie objektive Kriterien. Wenn ich mein Auto verkaufen will, schaue ich in die Schwacke-Liste, was es wert ist. Wenn der ausgehandelte Preis nicht gewaltig davon abweicht, habe ich ein faires Geschäft abgeschlossen.

Faire Kriterien richten sich natürlich nach dem Verhandlungsproblem. In der Politik können das EU-Richtlinien sein oder – das Nonplusultra – das Grundgesetz. In der Wirtschaft DIN-Normen oder Gutachten. In der Beziehung getroffene Vereinbarungen oder moralische Kriterien. Die Bandbreite ist groß und man sollte sich bei der Verhandlung auf Kriterien einigen. Das erleichtert den Weg.

Klar, kann kein Verhandlungskonzept Erfolge garantieren. Wenn Sie ein Kochbuch im Regal haben, heißt das ja noch nicht, dass Sie wie Lafer und Lichter kochen können. Aber – Hand drauf – leichter geht es so allemal. Vor allem, wenn man es trainiert.